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Bibliotheken – Dienstleisterinnen oder Buchsammlung?

Bibliothek, library service

Es geht ein Gerücht um unter Bibliothekaren und Bibliothekarinnen.

Es geht das Gerücht, dass Bibliotheken ihre Mitte verloren haben.

Oder etwas weniger dramatisch, dass sich der Focus von Bibliotheken verschoben hat: weg von der Buchsammlung — hin zur Dienstleisterin:

Aber stimmt das? Gibt es dazu (empirische) Forschung, die belegt, dass die NutzerInnen von Bibliotheken diese aufsuchen, um dort bedienstleistet zu werden? Welche “Dienstleistungen”  nachgefragt werden? Von welchen Gruppen von Nutzern und Nutzerinnen?

Die Ergebnisse des Nutzungsmonitorings, das 2014 in den Berliner Bibliotheken durchgeführt wurde, lassen diesen Schluss, recht besehen, nicht zu: Im Ergebnisbericht (pdf) heißt es (S. 11/12), dass die am meisten genutzte Ressource von (Öffentlichen) Bibliotheken die Medienbestände seien (88% der Nutzung fallen auf Ausleihe/Rückgabe), gefolgt von der Nutzung der Bibliothek als Lese-/Lern-/Arbeitsort (19% bzw. 29%, getrennt nach Arbeit/Freizeit).

Diese Daten werden verschiedentlich bestätigt; so wurde etwa in einer Dortmunder Studie von 2013 zum Angebot von Leseförderung durch Bibliotheken der ernüchternde Befund erhoben:

“Nur für 30,8 % der Lehrkräfte und 20 % der befragten Erzie- herinnen sind Bibliotheken kompetente Partner in Fragen der Leseförderung. Sie schätzen an Bibliotheken vor allem die Erweiterung des Buch- und Medienangebots und die räumliche Abwechslung. Das heißt: Anregung, Unterstützung ja – Partner nein.” (274)

Eine Studie, die in der kanadischen Provinz Alberta 2014 durchgeführt wurde, ergibt das gleiche Bild: die Haupttätigkeit der NutzerInnen in Bibliotheken ist medienbezogen; Veranstaltungen u.ä., die in der Bibliothek durchgeführt werden, sind v.a. für ländliche Gebiete der Provinz relevant, eher weniger für die städtischen Bibliotheken.

“Across all age groups, roughly 90 percent of all respondents used physical materials such as books and DVDs at the library. In addition, respondents used the library to attend art, cultural, and music programs; […]
When library program attendance was analyzed by area of the province, 43 percent of respondents in non-metro Alberta attended library programs compared to 23 percent of Calgary respondents and 30 percent of Edmonton respondents. This finding highlights the importance of public libraries in rural areas and smaller centers as a locus of cultural and social activity.” (355f)

Bibliotheken werden aufgesucht, weil sie Medien bereitstellen. Sie werden aufgesucht, weil man dort (ungestört oder gezielt gestört) lesen und arbeiten kann.

Wenn im Bibliotheksbereich davon gesprochen wird, dass die Relevanz des (physischen) Bestands zurückgeht, andere Nutzungsszenarien wichtiger werden und entsprechend der Ressourceneinsatz neu konzipiert wird, dann sollte dies auf fundierten Daten beruhen.

Dazu bedürfen wir noch mehr bibliotheks(ethnographische) und (ja, auch das: statistisch validierte) Nutzerforschung. Wir benötigen ein deutliches Verständnis davon, wie unsere Zielgruppen zusammengesetzt sind. Und Klarheit darüber, was wir als “Service” (oder “Dienstleistung”) verstehen. (Auskunft über die Nutzungsmodalitäten der Toiletten zu erteilen, gehört nicht dazu.)

Literatur:

Gudrun Marci-Boehncke (2014): “Bibliotheken als Bildungspartner”: Bibliotheksdienst, 48:3-4, 269–280, DOI: 10.1515/bd-2014-0035

Tami Oliphant (2014) “I’m a Library Hugger!”: Public Libraries as Valued Community Assets, Public Library Quarterly, 33:4, 348-361, DOI: 10.1080/01616846.2014.970431

2 thoughts on “Bibliotheken – Dienstleisterinnen oder Buchsammlung?

    1. Natürlich hast du recht, dass auch Sammeln (& Bereitstellen) von Literatur/Medien eine Dienstleistung ist.
      Im gegenwärtigen Fachdiskurs allerdings wird mit “Bibliothek als Buchsammlung” und “Bibliothek als Dienstleisterin” operiert als wären es Oppositionsbegriffe. Das erstere (die “klassische Aufgabe”) könne von Bibliotheken ohne Qualitätsverlust outgesourced werden (sei es via standing order, sei es via PDA, sei es via Paketlizenzierungen …), um (Personal/Finanz)Ressourcen freizulegen, so dass die Bibliothek (vermeintlich zeitgemäß) als “Dienstleisterin” positioniert werden könne.
      In dieser Opposition habe ich die Begriffe oben aufgegriffen und hinterfragt, ob das, was Bibliotheken anbieten, überhaupt Dienstleistungen sind, die von NutzerInnen in Bibliotheken gesucht und genutzt werden, und auf welchen Grundlagen diese Annahmen beruhen.
      Ganz im Sinne Wittgenstein’scher Gebrauchstheorie: “Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache” (PU 43), könnte man dann sogar schlussfolgern, dass das Kuratieren in Bibliotheken gegenwärtig gerade nicht mehr als Dienstleistung gewertet wird.

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